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25.08.2020

Offener Brief an Ministerpräsidenten Laschet

Foto: Unsplash / Glenn Carstens-Peters

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An Herrn
Ministerpräsidenten
Armin Laschet

minis8mr6terprae7b0sident0ab@stk.nrpiw.de

 

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

 

in großer Sorge um die Lage in den Schulen und vor allem die konkrete Bildungssituation der Schülerinnen und Schüler wendet sich die Schulleitungsvereinigung NRW an Sie als Ministerpräsidenten des Landes.

 

Als Verband, der Schulleiterinnen und Schulleiter aller Schulformen vertritt, haben wir in den letzten Wochen und Monaten wahrgenommen, dass die Schulpolitik des Landes in Zusammenhang mit der Bewältigung der Corona- Bedingungen trotz vielfacher diesbezüglicher Hinweise zu wenig die tatsächlichen Rahmenbedingungen der Schulen realisiert. Die Vorgaben des Ministeriums für Bildung sind aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und der schulischen Rahmenbedingungen kaum erfüllbar!

 

Die Praxis des Schulstarts stellt u. E. die Vorgaben des MSB infrage. Diese Infragestellung werden wir in den nächsten Tagen durch die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage noch einmal nachdrücklich belegen können.

 

Die Schulleitungsvereinigung NRW mahnt an, dass sich die oberste Schulbehörde der eigenen Verantwortlichkeit entledigt und die gesamte Verantwortung an Gesundheitsämter, Schulträger und Schulleitungen weitergibt.

 

Die Vorgaben des MSB sind:
Infektionsschutz sei weitestgehend gewährleistet durch

  1. regelmäßige Fensterlüftung (Stoßlüftung) – Klassenräume, die nicht gelüftet werden können, dürfen nicht genutzt werden!
  2. Abstand halten auf Fluren und draußen, kein Abstand in den Klassenräumen
  3. Maskenpflicht auch im Klassenraum (nicht für die Jahrgänge 1-4, wenn die Kinder fest   an ihrem Platz sitzen)

Die Schulministerin ignoriert die vielerorts nicht gegebenen baulichen Voraussetzungen.
Die öffentlichkeitswirksam präsentierte Handreichung des MSB zum Lernen auf Distanz signalisiert der Elternschaft das Versprechen der Umsetzung – den Anspruch auf Umsetzung verschiebt das MSB auf die Schulleitungen vor Ort.

Vom MSB wird gefordert:

  • Weitest mögliche Erteilung des „normalen Unterrichts“ – aber in „festen Lerngruppen“
  • Richtlinien und Vorgaben der Leistungsbeurteilung für Präsenzunterricht werden auf Distanzunterricht übertragen

Durch diese Forderungen des MSB kann gar kein „normaler Unterricht“ stattfinden:
Kurssysteme, Religionsgruppen, Fördergruppen, sonderpädagogische Förderung, Deutschunterricht für Schüler*innen aus anderen Herkunftsländern… finden in unterschiedlichen Lerngruppen statt und müssen daher ausfallen, wenn Schulen die Forderungen des MSB ernst nehmen.
Der ausschließliche Einsatz von Lehrkräften in festen Lerngruppen ist nicht realisierbar. Fachunterricht, Teilzeitkräfte und viele andere Begebenheiten müssen bei der Stundenplangestaltung berücksichtigt werden. Im Herkunftssprachlichen Unterricht sind Lehrkräfte an mehreren verschiedenen Schulen eingesetzt. Vertretungsunterricht für erkrankte Lehrkräfte erfordert ein hohes Maß an Flexibilität in den Schulen, unterjährige Stellenbesetzungen, Ausbildung von Lehramtsanwärter*innen/ Referendar*innen und Studierende im Praxissemester erfordern unterschiedliche Lerngruppen. Der Vertretungsbedarf durch Schwangerschaften ist immens.

Vom Ministerium für Bildung anscheinend völlig unreflektiert und oberflächlich in die Praxis transferiert worden ist die Gleichsetzung der bisher gültigen Leistungsbeurteilungs-regelungen. Lehrerinnen und Lehrer müssen das Lernen auf Distanz beurteilen.
Von Schulen wird dadurch eine Leistungsbeurteilung im luftleeren Raum ohne Vorgaben, ohne Standards gefordert. Diese Forderung ist rechtlich und pädagogisch nicht haltbar, wirft alle Vorgaben des Prüfungsrechts über den Haufen, sorgt in den Schulen für Verunsicherung, führt in der Praxis zu sichtbarer Ungleichbehandlung und wird in der Folge zu Fluten von Widersprüchen und Klagen führen.

Das MSB rühmt sich in der Öffentlichkeit mit Ressourcen, die es zur Verfügung stellt:
75 Millionen Euro wurden für Förderung von Kindern in den Sommerferien zur Verfügung gestellt. Die Information dazu kam in den Schulen unmittelbar vor, teilweise in der ersten Woche der Sommerferien an. Wie können Schulen und Schulträger Förderung organisieren, wenn die Informationen so spät kommen?
Die Ankündigung, mehr Lehrkräfte / Vertretungslehrkräfte einzustellen ist ebenso fragwürdig. In den Schulen arbeiten schon jetzt viele Menschen als Lehrerinnen und Lehrer, die keine abgeschlossene Lehrerausbildung haben und als „Seiteneinsteiger“ gelten. In den strukturschwachen Regionen oder in Brennpunktschulen herrscht zum Teil ein immenser Lehrermangel, so dass Stundentafeln schon in der Vor-Coronazeit nicht abgedeckt werden konnten.

Es werden Gelder zur Verfügung gestellt, die aufgrund von Kurzfristigkeit nur bedingt abgerufen werden können. Im Gegenzug wirft das MSB den Kommunen vor, die Gelder nicht pünktlich abzurufen.
Aber der Öffentlichkeit wird vorgegaukelt, wie verantwortungsvoll, vorausschauend und umsichtig das MSB arbeitet.
Die Arbeitsbedingungen vor Ort in den Schulen scheinen dem MSB nicht bekannt zu sein oder sie werden ignoriert, z.B.:

  • Nichtverfügbarkeit von Hausmeistern und Reinigungsdiensten in Ferien, keine    Reinigungskräfte für Zwischenreinigungen nach Schulmitwirkungsgremien (der Unterricht der festen Lerngruppen am kommenden Tag nach der Klassenpflegschaft     fällt aus oder die Lehrkraft/die Eltern putzen selber)
  • Baumaßnahmen in den Sommerferien

    …. Hier ließen sich zahllose weitere Missstände einfügen.

Nach Auffassung der Schulleitungsvereinigung NRW kommt das Ministerium für Bildung seiner Verantwortung für Vorsorge und Gesundheitsschutz gegenüber den Schülerinnen und Schülern, den Lehrkräften und den Schulleitungen im Land nicht nach.

Die SLV NRW sieht das Vorgehen des MSB als „Feldversuch“.
SLV NRW sieht hinter diesem „Feldversuch“ die Intention, sich allein durch die Formulierung „geeigneter“ Vorgaben aus der Verantwortung zu ziehen.

Im Alltag ist von geprüfter Qualität, von politisch verantworteter Bildungsgarantie nichts zu spüren. Dies betrifft nicht nur den Corona bedingten Distanzunterricht.

Der gesamte Ansatz digitalen Lernens entbehrt bisher jeder pädagogischen Zieldefinition und jeder Vorbereitung konkreten Unterrichts.

Einzig von Beschaffungsansätzen für Hardware ist die Rede, wobei man auch hier mit hohen Millionenbeträgen agiert wird. Bei der Umsetzung für betroffene Schülerschaft und das lehrende Personal vor Ort sind jetzt schon massive Verzögerungen festzustellen. Manche Schulträger bezweifeln schon jetzt, dass die Mittel ausreichen werden.

Andere sind nicht einmal in der Lage, die bereitgestellten Mittel abzurufen, da keine Zuständigkeiten in den Schulverwaltungen vorhanden sind. Nicht verwundern kann es dann, dass Schulträger nicht über Konzepte für die mögliche Ausstattung mit Geräten in den unterschiedlichen Schulformen verfügen.

In Bezug auf die Bereitstellung von Endgeräten sind inzwischen Schulleitungen aufgefordert, Bedarfs- bzw. Bedürfnisabfragen unter den Familien zu machen. Zu befürchten ist schon jetzt, dass nicht alle in notwendigem Maße partizipieren werden.

 

Die Schulleitungsvereinigung NRW bietet dem Ministerium für Bildung die kompetente Beratung durch Personen, die täglich vor Ort arbeiten, an. Leider stellt der Vorstand der SLV NRW immer wieder eine „Scheinbeteiligung“ durch das MSB fest. Ein wirkliches Interesse des MSB an der Realität vor Ort in den Schulen ist für uns nicht feststellbar.

 

Mit freundlichem Gruß

Harald Willert, Vorsitzender der Schulleitungsvereinigung NRW e.V.