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19.12.2022

Newsletter zum Ferienbeginn: das Ende eines bedrückenden Jahres

Foto: Unsplash / Onlineprinters (@onlineprinters)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Sehr geehrte Schulleiterinnen und Schulleiter,

hinter uns liegt ein Jahr, das uns alle sehr herausgefordert hat!
Am Jahresanfang bestand noch die Hoffnung, dass die Schulen sich langsam aus den Corona-Belastungen ausschleichen könnten und wieder in ein ruhigeres Fahrwasser gelangen. Diese Hoffnung wurde schnell von einer schrecklicheren Realität begraben. Der Angriff auf die Ukraine im Februar hatte für unsere Gesellschaft, für die Kommunen und im besonderen Maße auch für Schulen spürbare Folgen. Tausende Schülerinnen und Schüler flohen mit ihren Familien aus dem Kriegsgebiet. Die Aufnahme dieser Kinder und Jugendlichen stellte die Schulen – vornehmlich in den städtischen Ballungsgebieten -  vor fast unlösbare Aufgaben. Die erhoffte Rückkehr in einen „Normalzustand nach Corona“  stand nicht mehr zur Debatte. Weitestgehend beherrscht seitdem Krisenmanagement  den Alltag von Schulleitungen. Erschwerend kommt hinzu, dass Schulleitungen und Kollegien weiterhin von einer Vielzahl zusätzlicher Aufgaben, wie z.B. die Entwicklung schulinterner Arbeitspläne, statistische Abfragen, Konzeptentwicklungen in der Digitalisierung und weiteren Bereichen etc. herausgefordert werden. Das Zusammentreffen derart vieler und verschiedener Aufgaben hat die Belastung für Schulleitungen noch einmal erhöht und führt vielerorts zu Überlastungen.

Diese Wahrnehmung und die daraus resultierenden Einschätzungen und Empfindungen hat ein Schulleiterkollege aus einer Realschule in einem Brief zusammengefasst, den wir Ihnen hiermit gerne zur Kenntnis geben. Wir sind der Meinung, dass in diesem Schreiben das ausgedrückt ist, was viele von uns wahrnehmen, denken, was uns berührt.

Liebe Schulleitungskolleginnen und -kollegen,

die vergangenen beiden Schuljahre haben, nach meinem Empfinden, den Kollegien und Schulleitungen Enormes abverlangt. Ich kann mich nicht erinnern, dass die zu erfüllenden Aufgaben und Herausforderungen so vielfältig und zahlreich, demzufolge die schulische Arbeit so dicht gedrängt und die Arbeitsbelastung durchgängig schon einmal so hoch gewesen wären wie zuletzt. Viele Rückmeldungen und Gespräche mit Lehrkräften und Kolleg/innen in Schulleitungspositionen bestätigen diesen Eindruck.

Die Ursachen für diese außergewöhnlich hohe Belastungssituation sind vielschichtig. Das sehr aufwändige, zu vielen „Reibungsverlusten“ führende Corona-Management und die langwierige Digitalisierung von Schule mit all ihren strukturellen, organisatorischen, fachimmanenten und pädagogischen Facetten gingen zeitlich parallel vonstatten. Diese beiden Mammutaufgaben mit den zu bewältigenden Neuerungen, nach sich ziehenden massiven Veränderungen und besonderen Schwierigkeiten in Abstimmung und Umsetzung auf administrativer und pädagogischer Ebene, beanspruchten den Großteil der Ressourcen und waren kräftezehrend, am Ende teilweise gar zermürbend.

Ein hoher Anteil an nahezu täglich zu leistendem Vertretungsunterricht verstärkte die Belastungssituation. Zudem erfordern Unterricht und Begleitung der durch Inklusion und Zuwanderung zunehmend heterogener und größer gewordenen Lerngruppen einen immer höher werdenden Vor-, Nachbereitungs- und Betreuungsaufwand, der täglich zu leisten ist.

Hinzu kamen weitere Aufgaben und Verpflichtungen. Einzeln betrachtet handelt es sich dabei um sinnvolle und durchaus wünschenswerte Vorhaben, die teilweise kurzfristig umzusetzen waren. Die Aufzählung ist unvollständig, es standen u.a. Implementierungen von neuen Kernlehrplänen, der neue Referenzrahmen Schulqualität, die Konzeptentwicklung zum Gemeinsamen Lernen, Dokumentationsverpflichtungen und ein immer höher werdender Aufwand an zu bearbeitenden Abfragen und E-Mails, die Umsetzung des „Krimi-Erlasses“, der „Aufholen-nach-Corona-Maßnahmen“, die geschlechtersensible Bildung, die Einführung der Fächer Wirtschaft und Informatik, die Umsetzung der Vorgaben zur digitalen Bildung und zur Sprachbildung, ein neues Übergangsmanagement, COPSOQ-Befragungen und nicht zuletzt die Integration ukrainischer Schüler/innen, häufig ohne nennenswerte zusätzliche personelle Ressourcen, auf dem Plan.
Wir verlieren uns in einer Vielzahl von offenen Baustellen. Sie alle gleichzeitig und seriös zu bedienen, erachte ich für schlichtweg nicht leistbar. In vielen Schulen arbeitet ein Großteil der Lehrkräfte und Schulleitungen am Limit, meist eher darüber. Diese Situation bedarf aus vielerlei Gründen dringend einer Entschärfung. In Zukunft wird es m. E. wesentlich darauf ankommen, sehr deutlich Prioritäten zu setzen und nicht – wie bisher geschehen – alle Vorhaben und Konzepte gleichzeitig umzusetzen zu wollen.
Wir benötigen Kolleg/innen, die jeden Tag aufs Neue motiviert guten Unterricht gestalten und denen die Entwicklung ihrer Schüler/innen ein Hauptanliegen ist. Ähnliches gilt im übertragenen Sinne für Schulleitungen. Dieses Hauptanliegen haben wir m. E. zunehmend aus dem Blick verloren. Allzu oft wird es überlagert von einer nicht zu bewältigenden Zahl an gleichzeitig zu erledigenden Dingen, die am Ende eben nicht die intendierte Qualität schulischer Bildung sichern, sondern auf berechtigtes Unverständnis und Verdruss in den ohnehin an der Grenze der Belastbarkeit arbeitenden Kollegien und Schulleitungen treffen. Eine qualitativ angemessene und nachhaltige Schulentwicklung lässt sich unter diesen Rahmenbedingungen in der Praxis nicht verwirklichen.

Soweit der Kollege, dem die SLV NRW herzlich für seine offenen Worte und die Bereitschaft, das Schreiben zur Veröffentlichung freizugeben, dankt.

Mit Bedauern hat der Vorstand der SLV NRW seit Beginn des Schuljahres wahrnehmen müssen, dass Schulleitungsfragen in den politischen Gremien und in der Bildungsbürokratie weit nach hinten gerückt sind. Die desolate Stellensituation in fast allen Schulformen und in sehr vielen Schulen bindet die ganze Aufmerksamkeit und lässt Gedanken an die Probleme, wie sie im Brief genannt sind, kaum zu. Sinkende Bewerberzahlen um SL-Ämter, Rücktritte aus dem Amt, die Belastungssituation und Unzufriedenheit, die sich aus der widersprüchlichen Besoldungsstruktur ergibt, werden nicht wahrgenommen oder hingenommen. Es wird erwartet, dass Schulleiterinnen und Schulleiter für ihre Aufgabe „brennen“. Solange sie dies tun, will sich niemand sorgen.

Liebe Mitglieder,
nach dem Wechsel der Verbandsführung im Sommer 2022 hat sich der kommissarische Vorstand der SLV NRW gemeinsam mit den Beiratsmitgliedern neu organisiert und die Arbeit im politischen Feld wieder aufgenommen. Die im letzten Absatz, zugegebenermaßen teils auch polemischen Äußerungen geben unsere Wahrnehmung der Situation wider.
Dennoch oder gerade deswegen werden wir auch im kommenden Jahr die Situation der Schulleiterinnen und Schulleiter verdeutlichen und versuchen, Verbesserungen für unsere Berufsgruppe, die in den Schulen eine Schlüsselstellung für die Qualität von Bildung und Erziehung hat, zu erreichen. Weiterhin werden wir Sie in schwierigen dienstlichen Situationen, wie gehabt, unterstützen.
Sehr viele Schulleitungen im Land NRW bestärken uns in unserer Arbeit. Dadurch fühlen wir uns als SLV NRW in unseren Bemühungen bestätigt. Unterstützen Sie uns gerne weiter und bleiben Sie mit uns im Gespräch!
Für die anstehenden Ferien und die Feiertage wünschen wir Ihnen Gesundheit und Zufriedenheit sowie den notwendigen Abstand zur Schule! Wir wünschen Ihnen Kraft und Gelassenheit für ein (hoffentlich) weniger belastendes Jahr 2023.

Mit kollegialen und vorweihnachtlichen Grüßen verbunden mit allen guten Wünschen für Sie und Ihre Familien

H. Willert