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22.09.2019

Die SLV NRW e.V. antwortet auf den Begrüßungsbrief zum Schuljahresanfang von Ministerin Gebauer

Foto: Unsplash / Glenn Carstens-Peters (@glenncarstenspeters)

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18.9.2019

Sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer,

wenngleich wir durchaus konzedieren, dass ministerielle Botschaften zum Schuljahresbeginn in den Schwerpunkten nicht problemorientiert ausfallen, wollen wir Ihre aktuelle Ansprache an die Kolleginnen und Kollegen nicht unkommentiert lassen.

Ihre Darstellung der schulischen Situation hat vielerorts zu Unverständnis geführt. „Kopfschütteln“ war oftmals eher die harmlosere Reaktion, die wir unter vielen Schulleiter*innen wahrgenommen haben. Im Folgenden möchte ich kurz darstellen, was die genannten Reaktionen ausgelöst hat.

Liest man Ihren Brief, entsteht der Eindruck, dass Schule sich insgesamt in einer komfortablen Situation befände, aktuelle Schwierigkeiten absehbar und zu handhaben seien und die Bildungsbiografie keines Schülers/keiner Schülerin nachhaltig beeinträchtigt sei.

Das Gegenteil ist der Fall. Viele Lehrer*innen und Schulleiter*innen fühlen sich inzwischen als Bestandteil einer Bildungskatastrophe.

  1. Die Personal- und Ausstattungssituation ist mit Ausnahme weniger Schulen und Schul-formen desaströs. In Absprache mit dem Finanzminister stellen Sie großzügig Stellen zur Verfügung, wohlwissend dass die meisten davon nicht besetzt werden. Eine win-win- Situation für die Ministerien, ein Verlustgeschäft für Schülerinnen, Schüler und Schulen.

    Zur Katastrophe wirkt sich diese Praxis in den Regionen aus, die ehedem von Unterversorgung betroffen sind: Schulen in sozialen Brennpunkten und in bildungsfernen“ Quartieren. Grundständig ausgebildete Kräfte meiden diese Schulen und streben eher in komfortable Regionen. So wird auch die Kritik und der Widerstand begrenzt, die in der Regel bei Unterversorgung an „bildungsnäheren“ Einrichtungen durch die Elternschaft auf die Bildungsbürokratie zukommen.

    Gleichzeitig fehlen gerade für die schwächsten und benachteiligten Kinder, die kompetenten Lehrer*innen, die dazu imstande wären, zumindest in Ansätzen Bildungsungerechtigkeit zu vermindern. Die lange vorhandene und immer wieder kritisierte Bildungsungerechtigkeit wird zementiert, Chancengleichheit auf Dauer ausgeschlossen. Die von Ihnen mit der Wortkreation Umsteuerung erklärte Entlassung der Gymnasien aus der Inklusionsaufgabe verstärkt diese Entwicklung. Viele von uns empfinden das inzwischen als asoziale Bildungspolitik, die in deutlichem Widerspruch zu unserer Landesverfassung steht!
     
  2. Den Umfang des Unterrichtsausfalls analysieren Sie seit einem Schuljahr durch UNSTAT. Eine Mogelpackung erster Güte, weil Sie strukturellen Ausfall nicht mitzählen. Der sei so nicht messbar, verlautet es aus Ihrem Haus. Wozu wird denn der tägliche Ausfall gemessen, wenn noch nicht einmal für ein offizielles Ranking? Für diese sinnlose Messung werden über 200 Stellen investiert. Über 6000 Unterrichtsstunden könnten dadurch für Unterricht verfügbar gemacht werden.
     
  3. Vor einem Jahr haben Sie das Erfolgsmodell „junge Gymnasiallehrer*innen in die Grundschulen“ propagiert. Ruhig geworden ist es um diesen Ansatz. Die Mehrzahl der Adressaten nimmt lieber die Unsicherheit einer Vertretungsstelle in Kauf, als sich den völlig ungewohnten Grundschulanforderungen auszusetzen. Dieser Trend hat sich auch in diesem Schuljahr bestätigt.
    Die „Dummen“ sind auch hier wieder gerade die Schüler*innen, die eine intensive, differenzierte und kompetente Bildung gegen einen Start in eine unglücklich verlaufende Bildungsbiografie benötigen. Gerade den Stellenwert und die Notwendigkeit von positiven Bildungsbiografien betonen Sie in Ihrem Brief.
    Auch die intensiv herbeigeredeten Seiteneinsteiger bleiben aus: verständlich, dass Sie darauf nicht eingehen. Auch hier hat sich gezeigt, dass ministerielle Patentlösungen in der Regel nicht zu nennenswerten Ergebnissen führen.
    Die Konsequenzen tragen einerseits die Schüler*innen, andererseits aber auch die Lehrer*innen und Schulleiter*innen. Diese besonders, weil sie immer wieder einen Teil ihrer Arbeitszeit für Besetzungsverfahren aufwenden müssen. Diese bleiben häufig ergebnislos und werden zudem punktuell durch die einstellenden Behörden behindert.
    Diese Praxis etikettieren Sie als „Vor-Ort- Lösung“. Sie haben sicherlich inzwischen wahrgenommen, dass es vielfach keine Lösungen gibt.
    Die Verantwortung dafür wird aber wie selbstverständlich auf die unterste Ebene abgeschoben.
     
  4. Dies erfolgt ebenso selbstverständlich beim Thema „Digitalisierung“. Die Schulleiter*innen können sich jetzt mit den Schulträgern über die Ausstattung der Schulen auseinandersetzen, nachdem alle Projekte des MSB von Logineo und flächendeckender Nutzung von Cloud-Systemen bis hin Ausstattung mit Dienstgeräten erst einmal im Sande verlaufen sind. Zur Erinnerung: Vor einem Jahr ist der Medienkompetenzrahmen in Kraft gesetzt worden, nachdem in den Schulen verbindlich unterrichtet werden soll, was in Schulen und bei Schulleitungen durchaus Druck erzeugt. Eine zentrale Klärung mit den Schulträgern über deren Beteiligung ist nicht erfolgt. Diese Aufgabe übernehmen jetzt ebenfalls die Schulleitungen im Rahmen von „Vor-Ort- Lö-sungen“.

Wir bitten Sie mit Nachdruck, die massiven Probleme im Schulsystem, wie sie hier nur in Teilen angedeutet sind, anzugehen. Nur wenn Lehrer*innen und Schulleiter*innen Arbeits- und Rahmenbedingungen vorfinden, die eine zielgerichtete Arbeit ermöglichen, können gemeinsam die Bildungsziele erreicht werden, die wir als unverzichtbar ansehen.

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung und freuen uns, den begonnenen Dialog mit Ihnen auch in diesem Schuljahr fortsetzen zu können.

Mit freundlichen Grüßen

Harald Willert, Vorsitzender
Beate Grunewald-Woitscheck, stellv. Vorsitzende

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