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04.05.2020

NEU - Elternpetition zum Abitur 2020 an den Landtag NRW

Foto: Unsplash / Scott Graham

(Original hier herunterladen )

Herne, den 01.05.2020

Carsten Piechnik
Altenhöfener Straße 40
44623 Herne
Tel.: 02323-1378787
Mail: P-Caq3ersten@we2x7b.de <a6bi classxrcls="fa-egxonvellmbepope 12vp0fa+egkwr"><mc/i>bcfv (P-Ca+a1ndrsten7q@wbieb.defdqh)

An den
Petitionsausschuss des Landtages NRW
Der Präsident des Landtags NRW
Postfach 10 11 43
40002 Düsseldorf

Geschäftszeichen 17-P-2020-16247-00
 

Sofortiger Stopp der verpflichtenden Prüfungen des diesjährigen Zentralabiturs NRW


Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Carsten Piechnik, ich bin Vater eines vor den diesjährigen Abiturprüfungen stehenden Sohnes und wende mich mit einem sehr aktuellen Anliegen an Sie, welches alle Abiturient*innen des Landes Nordrhein-Westfalen und am Ende unsere gesamte Gesellschaft betrifft und möchte Sie bitten, alle möglichen Wege zu nutzen, um unverzüglich das diesjährige Zentralabitur zu stoppen.

Begründung

Derzeitiger Stand der Dinge in Sachen Zentralabitur 2020 in NRW ist, die Prüfungen stattfinden zu lassen nach bekanntem Zentralabitur- Muster – im Kern also „wie immer“. Nach langen Recherchen lassen sich dazu im Kern lediglich zwei Begründungen finden:

  1. Dies sei doch „einfach wichtig“
  2. Dies sei gerecht (z.B. "Es gibt keinen gerechteren Abschluss als den, der auf Prüfungen basiert" – so Frau Ministerin Gebauer am 17.04.)

Beide Begründungen halten einer tiefergehenden Betrachtung nicht stand, denn unter derzeitigen Gegebenheiten sind sowohl die innere Logik als auch eine innere Konsistenz in Bezug auf Gerechtigkeitsaspekte nicht gegeben – beides wären Grundvoraussetzungen.

Zu Fragen der inneren Gerechtigkeit

Die Verwerfungen im Bereich der fehlenden inneren Logik sollen hier an wenigen Beispielen konkretisiert werden:

  1. Seit den Schulschließungen im Zusammenhang mit dem lockdown am 16.03. sind bis heute 47 Kalendertage vergangen, davon 24 Schultage. In dieser Zeit hat es 17 „Schulmails“ aus dem Ministerium gegeben (also nahezu unterrichtstäglich und zu jeder Tages- und Nachtzeit), dazu nahezu unzählige Erlasse, Rundverfügungen, Verordnungen und Ergänzungen – nicht wenige davon widersprüchlich, uneinheitlich, präzisierungnotwendig und teilweise wieder zurückzunehmen. Bei jeder dieser Veröffentlichungen sitzen die aktuellen Schüler*innen ängstlich und verunsichert vor den Medien und fragen sich, was sich an den Bedingungen für sie geändert hat und was das konkret bedeutet und welche Erschwernisse dies für sie mit sich bringen wird. In bisher keinem einzigen Abiturjahr in NRW hat es jemals auch nur annähernd vergleichbare Unsicherheiten und Unabwägbarkeiten gegeben – insofern sind die Bedingungen im Vergleich zu bisherigen Abituren ungerecht.
  2. Die Lebensbedingungen der Abitur- Vorbereitungszeiten sind derzeit bis ins Tiefste geprägt von Corona- Setzungen. Viele der Abiturient*innen leben seit Wochen in existentiellen Ängsten (finanziell mit ihren Familien, aber auch psychisch und physisch gesundheitlich), viele leben „eingesperrt“ in engen, prekären Bedrohungssituationen, viele leben in Nöten von Vereinsamung und viele konnten – schulisch gesehen – Lerngruppen nicht organisieren und „wie gewohnt“ durchführen, um sich auf das Abitur „normal“ vorzubereiten. Die Durchführung von Prüfungen „wie immer“ ist auch diesbezüglich zutiefst ungerecht.
  3. In zahlreichen betroffenen Schüler*innengruppen hat es bittere Tränen gegeben bei der Ankündigung, die Schulen würden für die Prüfungsjahrgänge wieder geöffnet, aber für die Abiturient*innen „freiwillig“. Für einige der Schüler*innen bedeutete dies, sich entscheiden zu müssen zwischen einer besseren Chance auf ein gut gelingendes Abitur und einem ziemlich sicher zu befürchtenden Todesurteil für einen mit im Haushalt lebenden lieben Menschen, wenn z.B. ein Elternteil gerade eine Chemotherapie bekam und kaum noch Leukozyten besaß und man das Virus vielleicht aus der Schule mit nach Hause tragen würde. Allein der hier entstehende psychische Druck ist im Vergleich mit anderen Jahren unvergleichbar und ungerecht – das Argument der „Freiwilligkeit“ ist zudem entweder zynisch und/oder die Situation der Betroffenen missachtend.
  4. Im Verlaufe der letzten Wochen wurden an verschiedenen Stellen nach und nach Änderungen in den „normalen“ Abläufen vorgenommen, die einmalig und damit eben auch ungerecht sind im Vergleich zu anderen Jahrgängen:
    1. Die Prüfungszeiträume für das Zentralabitur sind wesentlich enger als „normal“. Dies bedeutet, dass die Vorbereitungs- Zwischenzeiten zwischen einzelnen Prüfungsteilen einerseits so eng sind wie sonst nie und dass andererseits Prüfungstermine nicht so gleichmäßig verteilt werden konnten – in Einzelfällen fiel – NACH Bekanntgabe der Termine – auf, dass einzelne Schüler*innen an drei aufeinanderfolgenden Tagen ihre schriftlichen Prüfungen in allen drei schriftlichen Prüfungsfächern ableisten sollten; wieder wurde nachgebessert und  die Prüflinge „durften“ nun entscheiden, auch an einem der Nachschreibtermine zu schreiben – wieder wurden Unsicherheiten, Ängste und Unvergleichbarkeiten generiert, mussten Vorbereitungs- Zeitpläne über den Haufen geworfen werden.
    2. Leistungskurs Sport: Vor mehr als 2 Jahren hat sich ein Teil der Prüflinge dazu entschieden, einen Leistungskurs Sport zu wählen. Die Prüfungsleistungen bestehen hier „normalerweise“ aus einem praktischen und einem Klausur- Teil. Die Wahl eines Sport- LKs hatte weitreichende Folgen für die Gesamtfächerwahl für die gesamte Oberstufe und die Gesamtabiturprüfung, z.B. war damit verbunden, dass die Schüler*innen an Mathe als Prüfungsfach quasi nicht mehr vorbei kamen. Mit einer Rundverfügung vom 28.04. (also vor 3 Tagen!) hat das Ministerium diesbezüglich „gesonderte Regelungen“ getroffen, die besagen, dass in den Fällen, in denen die praktischen Prüfungen derzeit nicht durchzuführen sind, stattdessen mündliche Ersatzprüfungen zu den gewählten Bewegungsfeldern durchzuführen sind im Umfang von je 10 Minuten – statt also praktische Sportprüfungen zu machen, sollen die Schüler*innen zusätzlich zu der ohnehin zu schreibenden LK- Klausur jetzt bis zu 3 mündliche Prüfungen machen – in einer Situation, in der viele der Schüler*innen wochen- und monatelang trainiert haben, selbstverständlich völlig unterschiedlich, je nachdem in welcher Sportart sie die Prüfungen erwarteten und je nach Situation in ihrer Kommune (ob man überhaupt trainieren konnte). Hinzu kommt, dass die Umsetzung dieser Rundverfügung mindestens in Herne und Bochum verschieden gehandhabt wird. Es ist davon auszugehen, dass dieser „Eingriff“ in diese konkreten Abiture nicht nur die Ergebnisse im gewählten LK Sport verändern werden, sondern damit über die vor zwei Jahren stattgefundene Fächerwahl auch das Gesamtabitur (vermutlich hätten zahlreiche der Abiturient*innen eine völlig andere Prüfungsfächerwahl getroffen, hätten sie gewusst, dass dieser wesentliche Prüfungsteil für sie so nicht stattfinden wird – es wäre ein völlig anderes Abitur geworden!).
  5. Die Zeitpunkte, an denen in verschiedenen Bundesländern die Prüfungen durchgeführt wurden bzw. durchgeführt werden, liegen in völlig unterschiedlichen „Corona- Epochen“ – einige Prüfungen wurden nahezu vollständig vor dem Ausbruch durchgeführt, andere zu unterschiedlichen Zeitpunkten des lockdowns oder der Lockerungen – auch hier ist eine Vergleichbarkeit der Situationen nicht gegeben.
  6. In bisherigen Abiturprüfungsjahren gab es in NRW den Gedanken, dass besondere Situationen bei der Abiturprüfung im individuellen Einzelfall dazu führen können, dass die Ergebnisse einer Prüfung von den bisherigen Leistungen abweichen – für diesen Fall waren Nachprüfungen vorgesehen, um diese Abweichung noch einmal zu überprüfen und in Teilen zu korrigieren. Genau in diesem Jahr, in dem die äußere Situation am tiefgreifendsten derlei mögliche Abweichungen geradezu bedingt, hat man die Nachprüfungen nach Abweichungen von Vorbenotungen abgeschafft. Eine Begründung hierzu war nicht zu finden, in jedem Fall aber ist dies Vorgehen unlogisch und ungerecht.

Diese Liste ließe sich nahezu unendlich erweitern.

Zu Fragen der inneren Konsistenz

Wenn man der offensichtlich verfolgten Logik nachgeht, dass Prüfungen angeblich umso gerechter sind, je zentraler sie durchgeführt werden und dass man sie zudem „in den Strukturen wie immer“ durchführen müsse, damit die Abschlüsse bundesweit Anerkennung erfahren würden, lässt sich nicht erklären

 

  1. warum die Abschlüsse der Klassen 10 nicht zentral geprüft werden (die Logik der Gerechtigkeit zentraler Prüfungen hängt ja nicht ab von der Wertigkeit des Abschlusses)
  2. warum Abschlüsse nach Klasse 10 zum Mittleren Schulabschluss z.B. in Rheinland- Pfalz seit vielen Jahren ohne zentrale Abschlussprüfungen erworben und dann ebenso bundesweit anerkannt werden wie Abschlüsse der 2000er Jahre aus Thüringen (wo es im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern an Gymnasien keine Prüfungen oder automatische Zuerkennung der mittleren Reife nach der 10. Klasse gab) oder wie alle Abschlüsse Anerkennung erfahren konnten, die innerhalb NRWs und in anderen Bundesländern vor der Einführung zentraler Abschlüsse erworben wurden – eine große Anzahl der Menschen, die heute z.B. in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik wirken, hat ihre Abschlüsse ohne zentrale Prüfungen erworben (Grundlage hierfür ist §17 des „Hamburger Abkommens“ vom 28.10 1964 zwischen allen Bundesländern, das ganz selbstverständlich bundesweit galt und immer noch gilt).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die derzeitigen Vorgaben für die Durchführung des Zentralabiturs in NRW sich unter der Maßgabe von Gerechtigkeit nicht halten lassen. Abschließend bleibt völlig unverständlich, wie die systemische Antwort auf die wohl größten Veränderungen des gesamten Lebens seit der Kriegszeit für den Bereich des Zentralabiturs sein konnte: „Wir machen das so wie immer“. Das kann nicht logisch und nicht gerecht sein!

Stattdessen liegen Schlüsse nahe, die Anlass zu größten Sorgen und Befürchtungen geben:

  1. Es ist im Zusammenhang mit der geplanten Durchführung der Abiturprüfungen von besonderen Ungerechtigkeiten auszugehen mit gravierenden Auswirkungen auf den Ablauf der Prüfungen und deren Ergebnisse, für mit dem Abitur erworbene Zugangs- Berechtigungen für den weiteren Lebensweg sowie für die psychische und physische Gesundheit vieler Abiturient*innen.
  2. Es sind neben den individuellen Auswirkungen auch wesentlich tiefergreifende gesamtgesellschaftliche Folgen zu befürchten: In der Logik obiger Ausführungen und auch nach der Erfahrung von und mit Betroffenen erscheint die Gefahr sehr naheliegend, dass bei sehr vielen der betroffenen Jugendlichen wirklich wesentliche Dinge zerbrechen: Der Glaube an das Gute, das man Ihnen zugedenkt, der Glaube, dass es interessiert, was mit ihnen ist und dass sie „es wert sind“, der Glaube an Ihre Zukunft, der Glaube, dass es sich lohnt, sich „zu bemühen und alles zu geben", der Glaube an Sicherheiten, Verlässlichkeiten, der Glaube an Gerechtigkeit und letztlich vielleicht auch der Glaube an Demokratie.

Sie stehen als Abgeordnete des Landtages NRW in der Verantwortung, in dieser schwierigen Situation das Rechte zu tun. Ich bitte Sie hiermit inständig, das dargelegte Anliegen schnellstmöglich zu einem Thema im Landtag zu machen mit dem Ziel, die verpflichtenden  zentralen Prüfungen des diesjährigen Abiturs auszusetzen und gegebenenfalls eine freiwillige Teilnahme für diejenigen Schüler*innen zu ermöglichen, die dies wünschen.

Mit freundlichen Grüßen




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C. Piechnik